Erinnerungen G. Zanders

Günter Zander berichtet hier über seinen Geburtsort und dessen Bewohner

Ländliches Idyll

Noch in meiner Jugendzeit befand sich vor dem Haus der Banzin. Ein Nebenarm der Havel, dazu äußert fischreich. Viertelstündlich wechselte die Strömung, so dass man die Uhr danach stellen konnte. Entweder schob die Havel das Wasser herein oder es floss mit ihr ab. Der Banzin zog sich von unterhalb der ersten Häuser des Ortes bis zum Großdorf hin. Bei niedrigem Wasserstand, welcher

während der Sommermonate eintrat, tauchten in seiner Mitte zwei Sandbänke auf, zu denen wir Kinder dann hinüberwaten konnten. Am Ende des Banzin stand ein von hohem Gras und Schlingpflanzen umwuchertes Weidengehölz, welches auf uns Kinder wie ein Urwald und deshalb unheimlich wirkte. All dies ist nur noch Vergangenheit, denn der Banzin. die Sandbänke und das Gehölz verschwanden in den folgenden Jahren. und mussten anfangs der dreißiger Jahre dem Ausbau des Schifffahrtsweges Hamburg-Berlin weichen.

Schwere Schiffsbagger rückten an, die den Banzin vertieften und bis zum Gahlberg hin verlängerten, wo er danach in die Havel mündet. Mit dem Aushub wurde ein Großteil der „Alten Havel“ zugespült, womit zugleich ein großer Teil des Fisch- und Artenreichtums verloren gegangen ist. Auch ein erhebliches Stück der vormaligen Romantik. Nur der breite Weidenstreifen jenseits der heutigen Havel erinnert noch an den Verlauf und die Breite des früheren Gewässers. Der restliche Aushub wurde mit Spülbaggern an anderen Stellen angehäuft, und diese Sandberge sind heute mit Weiden- und Pappelgehölzen bewachsen.

Die Havel, mit den beidseitig befestigten Deckwerken, wurde so zu einem Kanal, dem die Schönheit jener von Natur aus gewachsenen Flüsse abhanden kam. Durch die Erstellung des großen Wehrs am Gahlberg wurde der Wasserspiegel bei uns um einen Meter gesenkt. was zur Folge hatte, dass die in der Gemarkung recht zahlreich vorhandenen Rohrwerder – tiefer gelegene, wasserhaltige und mit Schilf bewachsene Stellen in der Gemarkung – über die Sommermonate zum größten Teil ohne Wasser waren. Ebenso die Lanken (flache Nebengewässer). Und diese Auswirkungen sind für den früheren Fischreichtum katastrophal gewesen, denn sie waren zuvor die Kinderstube vieler Fisch- und Tierarten und zugleich deren geschütztes Revier- Da, wo einst die Brut einen reich gedeckten Tisch vorfand, waren in den trockenen Sommermonaten die Nachkommen zum Tode verurteilt.

Noch zu meiner Jugendzeit setzte man die Enten mit ihren Küken an irgendeines dieser Gewässer aus. Ihnen bot die Natur reichlich Nahrung und das Schilf zusätzlich Schutz vor Habichten

und anderen Raubvögeln. Schon nach wenigen Wochen hatten die jungen Küken ihr Federkleid. Mit Hilfe der Kähne wurden sie eingefangen und heimgeholt. Dies war nie anders gewesen und schon Generationen zuvor hatten diese Methode angewandt. Verwechslungen mit den Tieren anderer Besitzer waren ausgeschlossen, denn jeder Hof hatte sein eigenes Hofzeichen, mit dem die Tiere gekennzeichnet waren. Soweit ich mich erinnere, bestand das unsere aus einer in die Schwimmhaut des rechten Fußes geschnittenen Zunge, und zusätzlich war am linken Fuß der Sporn entfernt.

Wie bereits angedeutet, hat der Ausbau des Schifffahrtsweges das Gesicht der Landschaft nachteilig verändert. Nicht nur der Fischerei, auch der Landwirtschaft war großer Schaden entstanden, denn die vormals tief gelegenen Wiesen hatten durch den danach niederen Wasserspiegel erheblich an Fruchtbarkeit verloren.

Bei den Baggerarbeiten im Banzin kam ein Einbaum zutage, welcher noch in einem verhältnismäßig guten Zustand gewesen sein soll. Spuren frühester Besiedelung sind in der Feldmark sehr häufig gefunden worden. So befindet sich auf den Höhenrücken der Scheunenstelle ein größeres Urnenfeld. Auch hat mein Vater diese Spuren vergangener Zeit auf den Dossebergen entdeckt, wo er beim Pflügen weitere Urnenfelder aus der Bronzezeit angeschnitten hat. Um die Jahrhundertwende stand hier noch ein Haus, welches den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern nach, von der Mohm im Holt – Alte im Holz – bewohnt wurde. Sie betrieb nebenher eine Gastwirtschaft und lebte in der Einsamkeit wohl an die drei bis vier Kilometer vom Ort entfernt.


Spuren der ersten Besiedelungen

Neben Schleswig-Holstein und Mecklenburg gehörte die Mark Brandenburg zu den ältesten Siedlungsgebieten der germanischen Stämme in Deutschland. Hier im Elb-Havel-Spree-Gebiet befand sich die Heimat der Semnonen, des Hauptstammes der Sueben, den Tacitus in seinen Überlieferungen als den ältesten und angesehensten Volksstamm der germanischen Völkerfamilie bezeichnet, auch als den größten, denn seinen Aussagen nach hatten sie hundert Gaue, und wenn man bedenkt, dass jeder Gau eintausend Krieger stellen konnte, so war dies für die damalige Zeit eine äußerst starke Streitmacht. Früheren Erkenntnissen nach wurden später aus dem Sueben die Sweben und später die Schwaben. Nach neuester Lesart jedoch wird die an sich einleuchtende Ansicht vertreten, dass sich die Schwaben immer als Schwaben bezeichnet haben, nur die lateinische Schrift kennt kein S C H W‘ weshalb man den Namen mit Sueben umschrieben hat, welcher später an ihnen hängen geblieben ist. Einen dieser Schwaben, den sogenannten Tollundmann – so benannt nach den Fundort – konnte ich vor Jahren in Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum zu Schleswig betrachten. Der Leichnam befand sich, dank der vom Moor ausgehenden Konservierung, in einem äußerst guten Zustand. Gut erhalten war auch die Haartracht, und sie ist es, die die Schwaben der damaligen Zeit kennzeichnet, denn sie trugen das Haar geknotet und seitlich herabhängend. Überlegungen, wie es in dieser Zeit bei uns ausgesehen haben könnte, Iassen mich zu der nicht unberechtigten Auffassung kommen, dass die Lage der dort befindlichen Ansiedlung ein sehr geschützte gewesen sein muss, denn nach Westen hin bildete die Havel mit ihren Lanken und Niederungen ein natürliches Hindernis, in Richtung Nord und Nordost war es das Dossebruch, welches mit seinen moorigen Sümpfen den gleichen Zweck erfüllte. Die Torfböden in diesem Bereich der Feldmark beweisen, dass es sich in früheren Zeiten in diesem Gebiet um eine mit kleinen Inseln durchsetzte Seenlandschaft gehandelt hat. Die sandigen  Erhebungen, welche die Strömung im ehemaligen Urstromtal hinterlassen hat, sind nicht hoch, doch noch erkennbar. In späterer Zeit sind diese Seen zugewachsen und zu Mooren geworden. Der südliche Teil der Feldmark wurde und wird heute noch begrenzt vom Gülper See mit seinem breiten Moor- und Schilfgürtel, welcher allen Angreifern in jener Zeit ein natürliches und nicht unerhebliches Hindernis gewesen sein muss. Bei weiterer Betrachtung darf man zwangsläufig zu der Auffassung kommen, dass nur nach Osten zu, entlang der heutigen Chaussee, eine schmale Landbrücke zu den Rhinower Bergen hin bestanden hat. Die heute noch vorhandenen Reste dieser einst so wasserreichen Landschaft sind gemessen an der seinerzeit noch vorhandenen Fläche erheblich geschrumpft. Dem aufmerksamen Betrachter jedoch drängen sich die Vorgänge, die diese Veränderungen mit sich gebracht haben, unübersehbar und in aller Deutlichkeit auf und sie regen an, darüber nachzudenken.


Hochzeiten im Dorf

Ohne Zweifel zählten die Hochzeiten im Ort mit zu den Höhepunkten aller Festlichkeiten, und ich durfte in meiner Jugend. auch in späterer Zeit. einige dieser Feiern miterleben. Schon die Vorbereitungen, die für die Beteiligten immer mit großen Umständen verbunden gewesen sind, ließen Außergewöhnliches vermuten und trugen schon zur Erhöhung der Spannung bei. Allein deshalb will ich versuchen den Ablauf dieser Bauernhochzeiten zu schildern.

Es war im Dorf die Regel, dass jede der geladenen Familien ein Huhn, 1 Pfund Butter und Zucker in das Hochzeitshaus zu liefern hatte. Butter und Zucker dienten der Zubereitung von Kuchen

und Torten, wohingegen die Hühner zu Suppen und Frikassee verarbeitet wurden. Zusätzlich hatten die Eltern des jungen Paares, sofern es sich um die bäuerliche Bevölkerung handelte, ein Rind und ein Schwein geschlachtet. Schon am Tag vor der Hochzeit reisten die von weit her kommenden Gäste an und wurden in den elterlichen Häusern des jungen Paares, oder bei Freunden und Verwandten untergebracht. Am Abend vor der Hochzeit begann der Polterabend, wozu mit den auswärtigen Gästen nur die allernächste Verwandtschaft und die Nachbarn geladen waren. Das Poltern besorgten wir Kinder und zu späteren Stunden die Freunde der Heiratswilligen. Altes, nicht mehr in Gebrauch befindliches Tongeschirr, wurde möglichst lautstark auf der Treppe des Hauses. in dem der Polterabend stattfand, zerschmettert. Zum Dank dafür wurde uns Kindern Kuchen gereicht. Nach uns, zur vorgerückten Stunde, polterten dann die Freunde der Heiratswilligen, die die Spuren dieses freudigen Mitempfindens vor Sonnenaufgang zu beseitigen hatten. Sie, die Freunde, waren in der Wahl ihrer Mittel nicht kleinlich. So sind es nicht nur Scherben gewesen, die auf die Treppe geworfen wurden. sondern mit Gerümpel aller Art bemühte man sich den beiden Hochzeitern die Nacht zu verkürzen. So war es durchaus kein Wunder, wenn man in diesen Nächten vereinzelt auch alte Sofas und Tonnen auf den Treppen liegen sah. Die Brautleute nahmen dies gelassen und spendierten den Akteuren Bier und Schnaps: wussten sie doch, dass sie zuvor schon Gelegenheit gehabt hatten, sich zu rächen, und dass die nächsten Hochzeiter von ihnen ebenso zu bedienen waren. Wir selbst haben später einem befreundeten Paar mit den Tragflächen eines im Krieg abgeschossenen Jagdflugzeugs eine Freunde besonderer Art bereitet. Doch ich will den Dingen nicht vorgreifen.

An jenem Abend wurden den beiden auch die Geschenke ins Haus gebracht. War einer der beiden Mitglied in einem der örtlichen Vereine, so ist dies immer eine Selbstverständlichkeit gewesen vollzählig zu erscheinen  und war es der Gesangverein, so wartete dieser mit einigen passenden Liedern auf. Aus den noch nicht angefeuchteten Kehlen erklang dann zumeist das passende Lied :“ Kein Feuer. Keine Kohle, kann brennen so heiß, als heimliche Liebe, von der niemand was weiß.“ Anschließend hatten die Sangesfreunde hinreichend Gelegenheit ihre trockenen Kehlen anzufeuchten, doch ist es wohl übelste Nachrede. wenn behauptet wurde, dass in den späteren Stunden die gesanglichen Darbietungen unstimmiger geworden sind.

Mit einem kräftigen Frühstück im Kreis der angereisten Verwandtschaft begann am kommenden Tag der eigentliche Hochzeitstag. Auch der Kutscher war hierzu geladen und hatte sichum die Pferde und den Wagen zu kümmern, um im Anschluss daran das junge Paar zum Standesamt zu fahren. Beiderseits des Weges standen Kinder, die mit Seilen die Straße sperrten, um den Wegezoll zu fordern, welcher ihnen vom Brautpaar in Form von Kleingeld oder Bonbons erstattet wurde. Oft sind den beiden in der Kutsche auch Blumensträuße zugeworfen worden. Das von Straßenseite zu Straßenseite gespannte Seil mußte vor dem Gespann zu Boden fallen, um ein Stolpern der Pferde zu verhindern. Deshalb standen die Mütter neben den Kleinkindern, wohingegen die größeren alt genug gewesen sind und dies beachteten. Die Pferde verminderten ihr Tempo nicht und trabten hocherhobenen Hauptes, als wären sie sich ihres Wertes und der Situation bewusst, dem Ziel entgegen.Gleiches spielte sich auf dem Rückweg ab.

Nach Rückkehr des standesamtlich frischgetrauten Paares hatten allen einen Grund, auf das Wohl der beiden anzustoßen. Einige Tabletts mit  Schnäpsen  machten die Runde und im zwanglosen Beisammensein verging die Zeit bis zum Kirchgang. Gemessenen Schrittes, von der voraus marschierenden Kapelle musikalisch begleitet, bewegte sich der Zug zur Kirche. Nach der Musik kamen die Blumen streuenden Mädchen, gefolgt vom Hochzeitspaar mit den Schleierträgerinnen und all den anderen Gästen. Bauernhochzeiten mit über hundert Personen waren keine Seltenheit.

Der Zug wurde nach fest gefügten Regeln zusammengestellt. Nach dem Hochzeitspaar die Brautjungfern mit den ihnen zugeteilten jungen Männern. Danach die beiden Elternpaare und nach diesen der Tross der Verwandten. Ihnen folgten die Freunde des Bräutigams mit den Freundinnen der Braut. Jeder der jungen Herren hatte seine ihm zugeteilte Dame, die später auch bei Tisch an seiner rechten Seite ihren Platz einnahm. Bei der Vergabe der Damen und Herren wurde von Seiten der Hochzeiter Wert darauf gelegt, dass Paare zusammenstellt wurden, die in etwa auch zusammen passten. Auch konnte man diesbezüglich persönliche Wünsche äußern, die zumeist auch Berücksichtigung fanden. Damit war gewährleistet, dass die Harmonie, getragen von gegenseitiger Sympathie, gegeben war. Natürlich bestanden auch seitens der jungen Damen gute Beziehungen zum Brautpaar, so dass es immer möglich gewesen ist, auch deren Wünsche zu berücksichtigen.Für die jungen Herren war es selbstverständlich, der Tisch- oder auch Hochzeitsdame, beim Zusammenstellen des Zuges mit einer Verbeugung einen Blumenstrauß zu überreichen. Danach bot man ihr den Arm und reihte sich in den Zug. Der Strauß gehörte gewissermaßen zum Anstand und wurde von den jungen Damen auch erwartet. Uns jungen Burschen war es allerdings äußerst peinlich mit dem Gebinde durch das Dorf zu gehen, denn die ersten Zuschauer, die den Hochzeitszug erwarteten, standen bereits an der Straße. Es kam mir immer vor wie ein Spießrutenlaufen. An sich dumm, aber damals sah man eben manches noch anders.Doch zurück zum Zug. So wie man der Reihe nach zur Kirche geschritten war, so hat man  diese nach der vollzogenen Trauung auch verlassen. Der Schritt war nicht mehr so bedächtig, auch die Kapelle hatte von tragender Musik auf leichte Weisen umgestellt. Bald erreichte man den Festsaal. Dieser, auch die Tische, waren der Festlichkeit entsprechend dekoriert. Tischkarten regelten die Sitzordnung, um zu gewährleisten, dass Leute passenden Charakters und Alters beisammen sitzen konnten. Wir Kinder hatten unseren Platz in Nähe der Theke. Nicht wegen der Getränke, eher deshalb, weil wir hier der elterlichen Aufsicht entzogen, dafür jedoch der unauffälligen des bedienenden Personals unterstanden, das falls erforderlich, jederzeit bereit gewesen ist die Ordnung wieder herzustellen.

Auf der Bühne hatte die Kapelle ihre Plätze eingenommen, und sie eröffnete das Essen mit einem passenden Konzertstück. Als erstes kam die Hühnerbrühe mit Einlage auf den Tisch. Danach gab es Salzkartoffeln und Frikassee. Jeder konnte essen so viel er wollte. Man ließ sich Zeit. Das nächste Gericht bestand aus Rinds- und Schweinebraten, doch zwischen den Gängen wurden Pausen eingelegt, die mit anregenden Gesprächen und Musik überbrückt worden sind. Wer sich berufen fühlte, hielt zu Ehren des jungen Paares eine Tischrede, oder Kinder überreichten dem Hochzeitspaar nach Aufsagen von Gedichten Geschenke. Eines dieser Gedichte, welches etwas aus dem Rahmen fällt und vielleicht ist dies auch der Grund weshalb es mir noch in guter Erinnerung ist, durfte auf keiner Hochzeit fehlen. Es war für die Kleinsten der Kleinen gedacht, welche den beiden Brautleuten nach dem Aufsagen einen Nachttopf überreichen mußten. Auch mir ist es nicht erspart geblieben. Es hatte folgenden Wortlaut:

Ich bin der kleine Wiedehopf

und schenk der Braut der Pinkeltopf,

das müssen nicht alle Leute wissen.

da kann der Bräutigam auch reinp……

Nach dem Braten gab es Fisch, und dieser durfte auf keiner Hochzeit fehlen. Zumeist gespickten Hecht. Danach folgte die Käseplatte und nach dieser der Nachtisch in Form von Pudding oder einer Eisbombe. Dies alles wurde in der Zeit zwischen 14 und 18 Uhr vertilgt. Es ist verständlich. dass sich die Stimmung bei den Erwachsenen, mit dem guten Essen und unter Einwirkung guter Weine, gehoben hatte. Es soll auch Gäste gegeben haben, die zu dieser Zeit schon etwas angeheitert in den Schuhen standen, doch der im Anschluss gereichte Kaffee trug dazu bei, derartige Eindrücke zu mildern.
Danach wurde die Tafel aufgehoben. Alles begab sich nach unten, wo der Fotograf schon Aufstellung genommenen hatte. um die gesamte Gesellschaft abzulichten und damit das Ereignis der Nachtwelt zu erhalten. Ein kleiner Spaziergang schloss sich an, derweilen oben der Saal aufgeräumt und für den Tanz hergerichtet wurde. An den Seiten blieben drei Sitzreihen stehen. Der Platz an der Theke jedoch blieb offen, denn hier standen später die Herren in zwangloser Unterhaltung beieinander und warteten auf den nächsten Tanz. In übrigen stand es allen geladenen Gästen frei, zu trinken was die Theke bot. Egal, ob Bier, Wein oder auch härtere Getränke.

Nicht eingeladene, zumeist Frauen und junge Mädchen, stellten sich als Zuschauer ein, und den Älteren dieser sittenstrengen Richterinnen entging wenig. Doch sei zu ihrer Entschuldigung gesagt, dass in den Dörfern mit all ihren Plagen ein Tag dem anderen glich. Es ereignete sich wenig Aufregendes. was Abwechslung oder Gesprächsstoff bot, so dass Feste und Festlichkeiten dieser Art Fundgruben besonderer Art gewesen sind. Wehe denen, die vom sogenannten Teppich gefallen waren, denn Spott und Nachrede war ihnen gewiss.

Zumeist fanden die Hochzeiten in den Monaten Mai und Juni statt, denn diese frühlingshafte, jungfräuliche Zeit war nicht nur romantisch, sondern sie kam der bäuerlichen Bevölkerung vor allem von der Zeit her sehr gelegen.

Im Saal löste an diesen Abenden ein Tanz den anderen ab. Der Schweiß floss in Strömen, und in den Pausen suchte man Erfrischung an der Theke, um sich nach den ersten Tönen erneut auf die Damenwelt und in das Gewühl der Tanzenden zu stürzen. Gegen Mitternacht gab es Brötzel oder auch Würstchen, denn der Abend hatte Kraft gekostet, und die Nacht war noch lange nicht zu Ende.

Im Übrigen trug dies auch zur Ernüchterung bei. Der Name Brötzel hängt vermutlich mit dem Bruzzeln zusammen, und all denen, die sich unter dieser Bezeichnung nichts vorstellen können, sei erklärt, dass Leber, Lunge und Herz der geschlachteten Tiere in kleine Würfel geschnitten und danach mit viel Zwiebeln und anderen Gewürzen in der Pfanne gebraten wurden. Es war, da mit Schmalz nicht gespart wurde, eine deftige Mahlzeit. Mein Leibgericht war es nie, doch vielen eine Delikatesse.

Gegen Morgen wurden in den unteren Räumen nochmals die Tische gedeckt. Es gab Kaffee und Kuchen, womit das Fest seinem Ende entgegen ging. Allerdings, einige Unentwegte, zumeist die Jugend. hielt die Stellung bis in den frühen Morgen. Selbstverständlich mussten wir Kinder, je nach Alter, bereits weit zuvor die Betten aufsuchen, doch hatten wir später als Heranwachsende noch oft Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen. Wir zeigten uns den Älteren gewachsen.


Dörfliches Leben

Doch zurück in meine Jugendzeit mit all ihren Freiheiten und Pflichten. Aufgewachsen bin ich in Holzpantinen, und auch das Leben der Erwachsenen spielte sich zu der Zeit auf den Dörfern in diesen Gehwerkzeugen ab. In Patinen gingen die Kinder zur Schule, der Bauer am Wochentag damit in die Wirtschaft, und auch die Frauen trugen sie im Haus und Hof. Ich trage sie noch heute gern, denn sie haben den Vorteil, dass man auch in der kalten Jahreszeit immer einen warmen Fuß behält.

Schuhe hingegen wurden nur sonntags, oder bei anderen aus dem Alltag herausragenden Ereignissen getragen. Im Übrigen war man in den Holzpantinen durchaus nicht so unbeweglich wie sich der Außenstehende dies vorstellt. Wir Jungen, von klein auf daran gewöhnt, brachten es im schnellen Lauf zu beachtlichen Leistungen. Bestand hingegen Gefahr, dass der Verfolger dennoch schneller war, so sprang man kurzerhand aus den Pantinen und konnte so barfüßig oder auf Strümpfen enteilen.

Letzteres natürlich nur außerhalb der Sichtweite der Eltern. Die Muttersprache war das Norddeutsch Platt. Den Kontakt mit dem Hochdeutschen stellte erst die Schule her. Allerdings gab es zu meiner Jugendzeit im Dorf bereits einige Familien, die das Plattdeutsche für zu gewöhnlich hielten und meinten, ihre Kinder mit dem Hochdeutschen zu erziehen. Für mich ist dies auch heute noch unverständlich, denn das Plattdeutsche ist ein Teil der norddeutsche Tiefebene, und es wäre schade, wenn es zum Aussterben verurteilt wäre.

Unsere Jugendzeit war abwechslungsreich. Müßiggang oder Langeweile gab es kaum, denn der Hof, das Vieh, die Feldmark und die nahe Havel boten Ablenkung mancherlei Art. Zu meiner Zeit spielte sich das Badeleben noch an der alten Fährstelle unterhalb des Dorfes ab, und da wir Kinder in diesen Dingen nicht ohne Übertreibung gewesen sind, so sahen sich die Eltern des Öfteren genötigt, vorübergehend ein Badeverbot auszusprechen. Dies war uns keineswegs willkommen, doch unsere Phantasie hatte sehr bald andere Möglichkeiten gefunden, mit denen wir die Trockenperioden überbrücken konnten. Überall am Ufer standen die Kähne der Fischer; sicher auch mit der Grund, weshalb wir den Umgang mit Ruder und Paddel schon in jungen Jahren lernten. Eine andere Unterhaltungsmöglichkeit bestand in der Jagd nach Fischen. Zumeist geschah dies mit der Angel, und keinem der Fischer wäre es eingefallen, uns nach der Fischereiberechtigung zu fragen, die wir ja auch nicht hatten. Es war ein Privileg der Jugend. Im Übrigen war der Fischreichtum zu der Zeit über die Maßen reichlich, dass es auf die, die wir der Havel entnehmen konnten, gewiss nicht ankam. Einige meiner Freunde gingen dem Angelsport schon in jungen Jahren mit einem gewissen Eifer nach, wohingegen ich seltener zur Angel, der auch sogenannten Hungerpeitsche, griff. Hingegen lag mir die Fischerei mit Netz und Reusen mehr, doch dazu war ich noch zu jung. Vermutlich war ich schon damals ein etwas unruhiger Charakter, welcher das Warten auf den Biss an der Angel eher langweilig fand.


Hochwasser

Die Havel hatte für uns auch nach der Regulierung nicht all ihre Reize verloren, denn wir Kinder beurteilten die Werte nach anderen Gesichtspunkten. Was den Eltern ein ruinöser Nachteil war, erschien uns unter Umständen als eine Abwechslung besonders reizvoller Art. Diese bot sich in meiner Jugendzeit durch das Hochwasser, welches in den damaligen Jahren mit Sicherheit alljährlich zu erwarten war. Einesteils als Folge übermäßig starker Regenfülle. andererseits in Verbindung mit der Schneeschmelze im Frühjahr. In beiden Fällen war die nur etliche Kilometer entfernte Elbe mit den Wassern aus dem Riesengebirge, der Moldau und dem Elbsandsteingebirge randvoll. Die Deiche drohten zu brechen, was in früherer Zeit des Öfteren der Fall gewesen ist. Da der Wasserstand höher war als die hinter den Deichen liegende Landschaft, so sind bei Deichbrüchen oft ganze Dörfer in den Fluten ertrunken.

Die für die Wasserwirtschaft Verantwortlichen hatten Erfahrungen gesammelt, denn Berichte aus früherer Zeit gaben hinreichend Kunde von Deichbrüchen, denen Menschen und Tiere dieser Regionen zum Opfer gefallen sind. Unter Umständen kam die Flut bei Nacht, und nicht allen gelang es, ihr Leben zu retten. Ganz zu schweigen von den wirtschaftlichen Schäden an den Gebäuden und den auf den schon bestellten Äckern.

Um eine Überbelastung der Elbdeiche zu vermeiden, wurden die Niederungen der Havel als ein natürliches Rückstaugebiet genutzt, und der mit eigenem Hochwasser reichlich gesegneten Havel das der Elbe der Belastbarkeit nach dosiert zugeführt, so hat man die Schleuse und das Wehr nach Bedarf geöffnet, um Elbwasser welches die Deiche bedrohte, stromauf in die Havel zu leiten. Mit Gefahr für Leib und Leben war bei uns nicht zu rechnen, denn die Havel lag nicht in Deichen. Bereits die ersten Siedler in dieser Region hatten ihre Hütten, in Beachtung des Wassers, auf Anhöhen oder am Rande der Niederung erstellt. Die später daraus entstandenen Ortschaften liegen heute noch an gleicher Stelle.In der Zeit des Hochwassers verwandelte sich das vor den Ortschaften gelegene Wiesengelände in einen einzigen zusammenhängenden See, welcher von Havelberg bis Rathenow – ca. 25 Kilometer weit – reichte. Mit dem Kahn konnte man in dieser Zeit von Ort zu Ort fahren. Sehr oft erreichte der Pegelstand Marken, die weit über die normalen Hochwasserstände hinausgingen. So erinnere ich mich noch recht gut, dass wir in einem Jahr sogar den Keller räumen mussten, in dem das Wasser später einige Wochen hindurch knietief gestanden ist. Verschiedene Stallungen im Ort lagen im Wasser, weshalb das Vieh evakuiert werden musste. Der Seedeich brach in fast allen Fällen und böse Zungen behaupteten, dass die Fischer im Ort hierbei nicht ohne Schuld gewesen sind. Konnten sie doch mit den Fischen aus dem See, der ihnen nicht gehörte, ihre Einkünfte nicht unerheblich aufbessern. Auf dem See war ihnen das Fischen untersagt, doch nicht auf der Gemarkung innerhalb des Deiches. Wie dem auch sei, der Seedeich in seiner damaligen Verfassung war nur ein Notbehelf, um das Sommerhochwasser aufzuhalten und wurde vom Frühjahrshochwasser in seiner gesamten Länge – immerhin an die sechs Kilometer – fast immer überspült. Gefahr für Mensch und Tier hat dabei nie bestanden. denn noch schützte die innere Feldmark der Außen- und Binnendeich. Zudem lag die Ortschaft, zumindest der größere Teil, immer noch über den jeweiligen Wasserspiegel. Als jedoch in einem der Jahre auch der Außendeich gebrochen war und Grundwasser den Weg in das Binnenfeld fand, war unsere Insel im Hochwassersee erheblich kleiner geworden. Vor unserem Haus stand das Wasser einen Meter tief auf der Straße. Wir – und alle aus dem Kleindorf – konnten die Schule und das Großdorf nur noch auf dem Umweg über unseren Hof erreichen, zwischen die Nachbargrundstücke mit Hilfe behelfsmäßiger Stege. Durch übermäßige Regengüsse im Herbst stand das Wasser den Winter hindurch bis in den Frühling. Erst danach ging das es langsam auf den Normalstand zurück. Vernichtet war in diesen Fällen ein Teil der im Herbst gesäten Saat; doch es muss der Gerechtigkeit wegen gesagt werden, dass in nationalsozialistischer Zeit Hochwasserentschädigungen geleistet wurden. Durchaus berechtigt, denn letztlich wurde dieser Zustand bei uns von den staatlichen Wasserwirtschaftsämtern bewusst herbeigeführt, um die Elbregionen vor Katastrophen größeren Ausmaßes zu schützen.Diese ausgleichenden Entschädigungen waren der Landwirtschaft durchaus von Nutzen, dürfen jedoch über die Strapazen, denen Mensch und Tiere hinterher ausgesetzt gewesen sind, nicht hinwegtäuschen. In den aufgeweichten Böden traten die Pferde bis zu den Knien durch und hatten somit vor dem Pflug schwerste Arbeit zu leisten. Unter Umständen doppelte, denn viele der überschwemmten Felder waren bereits im Herbst zuvor bestellt worden. Überwiegend jedoch war die Niederung ein Wiesen- und Weidegebiet, und deren Fruchtbarkeit wurde erhöht durch die Strömung der Wassermassen, die mit ihren Sinkstoffen dazu beigetragen haben.


Winterliche Vergnügungen und die damit verbundenen Gefahren

Oft hatte das Hochwasser schon im Monat November die Niederung überschwemmt. Mit der einsetzenden Kälte des Winters glätteten sich die Wogen, und von Ort zu Ort spannte sich eine feste Eisdecke. Hingegen war die Havel immer mit Vorsicht zu genießen, denn deren heimtückische Strömung ließ ein Zufrieren nur bei anhaltender Kälte zu. Es konnte durchaus der Fall sein, dass die heute noch sichere Stelle am kommenden Tag nicht mehr sicher und somit äußerst gefährlich war.

Hinzuzufügen ist, dass die Strömung bei Hochwasser sich nicht unbedingt an den vormaligen Flusslauf hielt, sondern den geraden Weg, auch den über das Wiesengelände suchte. Mithin der Grund, weshalb die Eisdecke auch in diesen Bereichen nicht immer sicher war.

Zu meiner Zeit kamen einige meiner Altersgenossen durch Einbrechen auf dem Eis in Bedrängnis, konnten jedoch wieder selbst der Gefahr entkommen, oder sie wurden mit Hilfe anderer vor dem Ertrinken gerettet. Wohl waren wir am Wasser groß geworden, kannten die Gefahren, und waren von den Eltern auch darauf hingewiesen worden, dennoch kam es immer mal wieder zu lebensbedrohlichen Zwischenfällen. So war einer meiner Schulkameraden beim Schlittschuhlaufen eingebrochen. Einen Kilometer vom Ort entfernt stand er bis zur Brust im Wasser, und es gelang ihm nicht, auf das rettende Eis zu kommen. Ein kleines Mädchen sah von weitem dies Schauspiel, alarmierte die eigenen Eltern, die mit Hilfe einer Leiter,  die sie auf das Eis legten, um ein Einbrechen zu verhindern, den fast nahezu Erschöpften und steifgefrorenen in letzter Minute retten konnten.

Hätte das kleine vierjährige Mädchen dies nicht bemerkt, so wäre jener Schweighofer nicht mit seinem Leben davon gekommen. Einer diese Unglücksfälle blieb mir in seiner besonders tragischen Art in genauester Erinnerung, und verfehlte deshalb seine Wirkung auf unsere Gemüter nicht, weshalb ich ihn der Nachwelt nicht vorenthalten möchte. Möge er in seiner Dramatik mit dazu beitragen, Leichtsinnsunfälle auf dem Eis zu vermeiden.

So hatte sich an einem bitterkalten Wintertag ein zwölfjähriger Junge aus dem Dorf auf das Eis der Havel gewagt und war eingebrochen. Ohne Grund unter den Füßen gelang es ihm nicht, auf das Eis zu kommen. Seine Hilferufe wurden wohl gehört, doch ehe Leitern und Seile herbeigeholt werden konnten, war er mit seinen Kräften am Ende. Er versank vor den Augen derer, die sich bemühten, ihn zu retten. Unter diesen waren auch seine Eltern.

Mit dergleichen Gefahren war hinter dem Dorf, in der sogenannten Wätring, nicht zu rechnen (Wätring kommt von wässern, Viehtränke), denn hier war das Eis beizeiten dick und tragfähig, bei Hochwasser auch auf dem riesigen und nahezu strömungsfreien Wiesengelände nebenan. In ihrer kilometerlangen Ausdehnung ein ideales Eislaufgebiet. Zunächst genügte uns die Wätring, doch mit zunehmendem Alter wurden unsere Ausflüge länger und gingen weit über die Gemarkungsgrenze hinaus. So sind wir später oft am Herrenberg vorbei nach Saldernhorst gelaufen.

Immerhin eine Strecke von an die sechs Kilometer. Trotz unserem noch jugendlichen Alter, wir waren zu der Zeit im letzten Schuljahr, durften wir es dort den Erwachsenen gleich tun und wurden mit Bier und Zigaretten bewirtet. In Gegenwart der uns begleitenden Mädchen fühlten wir uns mit dem männlichen Getränk und den Glimmstängeln recht erwachsen. Natürlich blieb es bei einer Zigarette und auch bei einem Bier. Mehr erwarteten wir nicht, und mehr hätte der Wirt wohl auch nicht rausgerückt.Eines Tages, wieder mit Schlittschuhen unter den Füßen auf dem Weg nach dort, war uns Fortuna besonders gewogen. Der Haupttrupp befand sich weit voraus und hatte Saldernhorst bereits erreicht. Wir, die wir später abgefahren sind, hatten zu der Zeit erst den Herrenberg umrundet und noch gut zwei Kilometer Eisfläche vor uns. Zu dritt liefen wir hintereinander her, womit den beiden Letzteren ein großer Teil der Sicht nach vom versperrt war. Unser Tempo war nicht unerheblich, als plötzlich der Vorausbefindliche scharf abbremste und seitlich auswich, Reaktionsschnell taten wir das Gleiche. Der Grund, den nur der Vordermann erkannt hatte, lag dicht vor uns: ein offenes Eisloch mit einem Durchmesser von den sechs bis acht Metern. Der vorausfahrende Freund hatte es spät, jedoch noch rechtzeitig, erkannt. In der Dämmerung wäre es uns mit Sicherheit zum Verhängnis geworden, da das Wasser an jener Stelle sicher einige Meter tief war, denn in dem Bereich verläuft die Kreitbergdosse. Das Gefrieren des Wassers verhinderte an dieser und ähnlichen Stellen die vom Boden ausgehende Wärme. Man sprach von warmen Quellen. Vermutlich entspricht dies der Richtigkeit, denn eine andere Erklärung ist mir dafür nicht bekannt geworden.


Peekbock

Mit Schlittschuhen bin ich der Zeit weit vorausgeeilt und ich gehe zurück in die Jahre, in denen uns die Wätring mit den daneben befindlichen und überschwemmten Wiesen noch genügte.

Dazu auch der Peekbock. Da zu vermuten ist, dass sich die heutige Generation unter einem Gefährt dieser Art wenig vorstellen kann, will ich versuchen, es näher zu beschreiben: „Man nehme ein stabiles Bett von vierzig Zentimeter Breite und einer Länge von an die achtzig Zentimeter – man kann auch zwei schmalere zu dieser Größe zusammennageln. Auf der unteren Seite werden wie bei einem Dreirad drei alte ausgediente Schlittschuhe genagelt. Es empfiehlt sich, die Sitzfläche durch Aufbringen eines weiteren Brettes zu erhöhen. Zur Fortbewegung dieser Eisschlitten benötigt man die Peeken (plattdeutsch, kommt von pieken). Es sind dies zwei handliche Stöcke mit einer Länge von um die fünfzig Zentimeter, in deren hinteren Teil ein Nagel geschlagen wird, dem man zuvor den Kopf abgetrennt hat.“

Mit diesen Peekstöcken in den Fäusten konnte man recht ansehnliche Geschwindigkeiten erreichen, und wir Kinder brachten es damit zu beachtlichen Leistungen. Ein Gefährt diese Art habe auch ich besessen. Meine Schwester Marianne, zu der Zeit wohl um die acht Jahre alt, war aus den Anfängen schon heraus und beherrschte den Peekbock recht gut, weshalb wir das Ding, je nach Laune, abwechselnd nutzten, was wiederum, wie unter Geschwistern üblich, nicht immer ohne Reibereien abging. Nun hatten eines Tages Nachbarn in Ufernähe eine sogenannte Waake geschlagen, ein größeres Eisloch, um den häuslichen Enten und Gänsen die Möglichkeit zur Reinigung und die an Befruchtung zu geben. Marianne, an diesem Tag anscheinend mit Blindheit geschlagen, raste in vollem Tempo auf die Waake zu und verschwand in den hoch aufspritzenden Wellen. Doch eben so schnell stand sie im flachen Wasser wieder auf den Füßen. um triefend und mit Geheul den Fluten zu entsteigen. Was mich seinerzeit so erboste, war nicht ihr Bad im kalten Wasser, nein, in dieser Hinsicht war ich nicht neidisch, aber daß sie unter Zurücklassung allen beweglichen Inventars den Heimweg antrat, ärgerte mich sehr. Mußte ich doch hinterher nicht nur den Peekbock mit den Peeken, sondern auch noch ihre Pantinen aus dem Wasser fischen.


Die Schlachtfeste

Der Winter war nicht nur die Zeit des Eissports, sondern auch die Jahreszeit der örtlichen Festlichkeiten. Neben den Vereinsfeierlichkeiten, mit denen wir noch wenig zu tun hatten,

dominierten die Schlachtfeste. Diese fanden in der Zeit vom November bis Ende Februar statt. Schon in aller Frühe erschien an diesen Tagen Onkel Haake – ein Vetter meines Vaters – mit dem Beil und sehen scharfen Schlachtermessern. Längst waren unsere Eltern auf den Beinen um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. Die an diesem Tage hektische Atmosphäre scheuchte auch uns Kinder aus den Federn, um vom Küchenfenster aus Zeugen des Schlachtens zu werden. Onkel Haakes Weg führte zuallererst in den Keller. um zu prüfen. ob das Wasser im Kessel schon die zum Brühen erforderlicheTemperatur hatte. In der Zwischenzeit holte unser Vater das Tier aus dem Stall. Mit einem Strick, welcher an einem der hinteren Läufe gebunden war, wurde das Schwein möglichst kurz an einen Ring gebunden. der sich zu diesen Zweck an der Außenmauer der Stallung befand. Onkel Haake stellte sich in Position und sein kräftiger Schlag mit der stumpfen Seite einer Axt riß das laut aufschreiende Tier zu Boden. Mutter und Tante Picht standen mit ihren Schüsseln bereit, um nach dem Abstechen das wertvolle Blut aufzufangen und mit anhaltendem Rühren ein Gerinnen zu vermeiden. Mit den letzten Tropfen wich das Leben, und das leblose Tier konnte in den bereitstehenden Brühtrog gewuchtet werden, was von den beiden Männern mit Geschick bewältigt wurde. Beide Frauen schleppten eimerweise heißes Wasser heran, welches von Onkel Haake mit Sorgfalt über das Schwein verteilt wurde. Nach Beendigung dieser Prozedur griff man zu den glockenartigen Kratzern, um mit diesen die Borsten zu entfernen. Im Anschluß daran wurde das Tier aufgehängt  und ausgenommen.Danach war das Leben im Haus so recht nach unserem Geschmack. Onkel Hahn kam mit seinem geheimnisvollen Kasten, um die Trichinenfreiheit zu bestätigen und die Frauen im Haus hatten alle Hände voll zu tun. Bald kochten im Kessel Fleisch, Leber- und Blutwürste. Derweilen bemühte man sich um die Herstellung der Mettwurst. Vater drehte den Wolf, Onkel Haake nahm die Wurst ab, und wir Kinder, mit der Nase fast dazwischen, standen überall im Weg. Den an diesen Tagen zu erbringenden Leistungen entsprachen die jeweiligen Mahlzeiten. Ein handfestes Frühstück, der Mittagstisch kräftig und zum Kaffee gab es Kuchen; jedoch die Abendmahlzeit bestand bei uns nahezu regelmäßig aus Fleischklößen in Biersoße mit Salzkartoffeln. Sie schmeckten herrlich.

Vermutlich war dies mit ein Grund, wegen dem ich später im schon erwachsenen Alter, bei gleichem Anlaß achtzehn dieser Klöße auf einem Sitz vertilgte. Von dieser üppigen Mahlzeit gestärkt, war es mir hinterher kaum mehr möglich die Schuhe zuzubinden. Natürlich durften an diesen Tagen für die Erwachsenen Bier und Schnaps nicht fehlen. Diese Dinge standen bereit und in den Pausen konnte man nach Belieben zu diesen Stärkungsmitteln greifen. Jedoch nicht nur der alkoholischen Getränke wegen – der Verbrauch derselben hielt sich übrigens immer in Grenzen – war man am Abend rechtschaffend müde, sondern die anstrengende Arbeit in der winterlichen Luft trug mit dazu bei. Es blieb in den kommenden Tagen noch genügend zu tun, um die restlichen Spuren zu beseitigen. Im übrigen waren diese Tage, dazu mit den nur kurzen Pausen, immer recht lang. Außerdem war der Stall voller Vieh, das nebenher auch versorgt werden mußte.


Noch eine Schwester

Doch zurück zur Schule, in der wir an einem Abend die Vorbereitungen für das bevorstehende Erntedankfest getroffen haben, welches in nationalsozialistischer Zeit immer sehr festlich begangen wurde. Noch mit irgendwelchen Arbeiten beschäftigt, überraschte mich unser Lehrer mit der Gratulation zur Geburt unserer jüngeren Schwester. Er wusste mehr als ich. denn dies Ereignis lag erst eine knappe Stunde zurück und hatte sich in Windeseile im Dorf herumgesprochen.

Mehr als überrascht, stürmte ich nach Beendigung meiner Arbeit davon, um daheim den neuen Erdenbürger zu begrüßen. Selbst erst acht Jahre alt, kam ich bei näherer Betrachtung wohl zu der Auffassung, dass mit dieser kleinen Schwester, die den Namen Anneliese erhalten hatte, in absehbarer Zeit als Spielgefährtin noch nicht zu rechnen sei. Allerdings mussten Marianne und auch ich später oft unser Spiel unterbrechen, um auf sie acht zu geben, was wir durchaus nicht immer gern getan haben.


Pioniere

Aufregende Tage standen uns bevor, wenn im Herbst die Rathenower oder die Brandenburger Pioniere anrückten, um anlässlich der Herbstübungen direkt vor dem Dorf eine Pontonbrücke über die Havel zu schlagen. Aus allernächster Nähe erlebten wir Kinder den Zusammenbau der einzelnen Teile mit: die Errichtung der Joche und danach das Einfahren der bereits mit den Bohlenbelägen versehenen Pontons. All dies, dazu die Leistung der hervorragend ausgebildeten Kompanie in ihrer soldatisch und disziplinierten Haltung, auch der präzise Ablauf der Übung, verfehlten ihren Eindruck auf uns Kinder nicht.


Mit Eisschollen unterwegs

So vergingen der Winter und in der kommenden Jahreszeit tauten Schnee und Eis. Oft haben Eisbrecher das Eis der Havel aufgebrochen, um die Schiffahrt wieder in Gang zu bringen. Ganze Schleppzüge kamen in Fahrt und dampften in nur siebzig Meter Entfernung am Haus vorbei. Noch stärker wurde der Strom von den schnelleren Eildampfern und den Motorschiffen befahren, die in ihrer unterschiedlichen Größe erhebliche Mengen an Fracht transportieren konnten. Die von den Schiffen ausgehenden Wellen nagten zusätzlich am Eis. Ganze Schollen brachen ab, um der Strömung folgend ihre letzte Reise anzutreten. Andere trieben an Land, wo sie ihre Fahrt zum Teil vorübergehend unterbrochen haben. Auf diese Gelegenheit warteten wir, denn Ruder und Staken standen bereit, um die Schollen als fahrbare Inseln nutzend; wieder in Bewegung zu bringen. Soeben erst aus der Schule gekommen, flogen die Mappen in das Eck. Das in aller Eile zu uns genommene Mittagsmahl war kaum heruntergewürgt, als am Wasser schon die Ersten bereitstanden. Je nach Größe der Mannschaft suchten wir uns unter den Angetriebenen eine passende Scholle aus. Natürlich blieben wir im flachen Gewässer, denn das Eis fing zumeist schon an brüchig zu werden. Je nach Laune wechselten wir die Schollen, indem man von der einen auf die andere sprang. Obwohl das Eis angetaut und damit nicht mehr so glatt war wie zuvor, erforderte dies eine gewisse Geschicklichkeit, der Anfänger nicht immer gewachsen waren. Oft teilte sich die Besatzung, und die Zusammenstöße von Schollen waren gewollt und gaben dem Spiel einen zusätzlichen Reiz. Immerhin war damit zu rechnen, dass das Eis bersten konnte und die Besatzung; “ Rette sich wer kann“, auf eine andere Scholle ausweichen musste, falls eine solche in erreichbarer Nähe vorhanden war. Andernfalls musste man im eisigen, hüfttiefen Wasser an Land waten.

Eines Tages, ich stand noch am Ufer, bemächtigten sich drei meiner Schulkameraden einer Scholle, die mit den dreien hinreichend belastet gewesen wäre. Doch ein Vierter bog des gleichen Vergnügens wegen um das Eck und wollte mitgenommenen werden, weshalb die Mannschaft nochmals in Richtung Land steuerte. Dieser allerdings wartete das Anlegen nicht ab und sprang aus zwei Meter Entfernung auf das Eis. Der Sprung war ohne Beanstandung, doch durch den Aufprall brach die Scholle und er stand gleich darauf zwischen den beiden Teilen bis zum Gürtel im eiskalten Wasser.

Mit krampfhaften Versuchen bemühte sich die restliche Besatzung, das verlorenen Gleichgewicht wieder herzustellen. Doch es blieb beim Versuch. Blankenburg, die aussichtslose Situation erkennend, sprang als Erster; und mit dem Ruf. „Rette sich wer kann“, watete er an Land. Auch die anderen beiden verschonte das Schicksal nicht.

War die Zeit der Eisschmelze vorüber, so bemächtigten wir uns der Brühtröge, um mit denen kleine Ausflüge auf dem Wasser zu unternehmen. Allerdings hatten diese Untersätze recht hinterhältige Eigenschaften; sie kenterten leicht und konnten deshalb nur mit vorsichtiger Gewichtsverteilung gefahren werden. Zudem war das Pappelholz, aus dem diese Tröge gefertigt gewesen sind, sehr weich und damit saugfähig, weshalb sie schon nach wenigen Tagen einen bedenklichen Tiefgang hatten. Vater schob dann den Riegel vor und der Trog kam in den Schuppen, wo er wieder austrocknen konnte. Aus meiner heutigen Sicht betrachtet, durchaus zu Recht denn Tröge sind keine Paddelboote zudem zu schade, um zweckentfremdet missbraucht zu werden.